Ossip Mandelstam
Tristia

Ich hab die Kunst studiert, Abschied zu nehmen,
Im barhäuptigen Schmerz nächtlicher Klagen.
Es brüllen Ochsen, die Erwartung währt –
Der Stadtvigilien letzte Stunden schlagen.
Ich ehr den Ritus jener Hahnennacht,
Als, schwer das Kreuz des Leidenswegs erhebend,
Verweinte Augen in die Ferne schauten
Und Klageweiber Musensänge webten.

Wer weiß schon – nur beim Wort: das Abschiednehmen,
Welch eine Trennungszeit bevorstehn wird;
Was uns verheißt der Hähne lautes Krähen,
Wenn die Akropolis im Lichtschein flirrt?
Und beim Beginn solch eines neuen Lebens,
Wenn in der Scheune faul der Ochse brüllt,
Warum der Hahn, als Herold neuen Lebens,
Mit Flügelschlag die Stadtmauern erfüllt.

Ich liebe die Gewöhnlichkeit des Webens;
Das Schiffchen flitzt, die Spindel tanzt und schwirrt.
Da schau: barfüßig wie 'ne Schwanenfeder
Eilt Delia in sanftem Flug zu dir.
O karger Boden unsres Vegetierens!
Wie arm an Freude doch die Sprache ist!
Was war in alter Zeit, kommt alles wieder.
Allein der Augenblick erscheint uns süß.

So soll es sein: durchsichtig ein Figürchen
Auf einer reinen irdnen Schale liegt,
Wie'n Eichhornfell zerlegt in kleine Stückchen,
Tief übers Wachs gebeugt, ein Mädchen blickt.
Nicht wir enträtseln Erebus, den Griechen,
Für Frau'n ist Wachs, was Männern Kupfer ist.
Der Mann erlangt den Opfertod in Kriegen,
Und nur die Frau ist's, die hellsichtig stirbt.

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Delia: auf Delos wurden in der Antike Delische Spiele abgehalten, die Apollonia bzw. Delia genannt wurden.
Desweiteren beschreibt dieser Terminus eine Gattung von Schmetterlingen.
Hier wohl sinnbildlich für dichterische Inspiration.

Erebus: antike griechische Personifikation der Dunkelheit.
(E. B.)

Übersetzt von Eric Boerner

Осип Мандельштам
Tristia

Я изучил науку расставанья
В простоволосых жалобах ночных.
Жуют волы, и длится ожиданье —
Последний час вигилий городских,
И чту обряд той петушиной ночи,
Когда, подняв дорожной скорби груз,
Глядели вдаль заплаканные очи
И женский плач мешался с пеньем муз.

Кто может знать при слове «расставанье»
Какая нам разлука предстоит,
Что нам сулит петушье восклицанье,
Когда огонь в акрополе горит,
И на заре какой-то новой жизни,
Когда в сенях лениво вол жует,
Зачем петух, глашатай новой жизни,
На городской стене крылами бьет?

И я люблю обыкновенье пряжи:
Снует челнок, веретено жужжит.
Смотри, навстречу, словно пух лебяжий,
Уже босая Делия летит!
О, нашей жизни скудная основа,
Куда как беден радости язык!
Все было встарь, все повторится снова,
И сладок нам лишь узнаванья миг.

Да будет так: прозрачная фигурка
На чистом блюде глиняном лежит,
Как беличья распластанная шкурка,
Склонясь над воском, девушка глядит.
Не нам гадать о греческом Эребе,
Для женщин воск, что для мужчины медь.
Нам только в битвах выпадает жребий,
А им дано гадая умереть.

Стихотворение Осипа Мандельштама «Tristia» на немецком.
(Osip Mandelshtam in german).